Montag, 15. August 2011

Aus dem Reisealltag eines Obrunis


Gelegentlich muss ein LKW als (illegales) Trotro herhalten.
Man sagt ja gemeinhin, dass die Welt ein Dorf sei, besonders wenn man mal unerwartet an einem abgelegenen Ort einen Bekannten trifft. Die Frage ist: Wenn die Welt schon ein Dorf ist, was ist dann Ghana? Denn irgendwie trifft man hier ständig dieselben Leute. 


In der kleinen Stadt Hohoe, mitten am Markt: ein Bekannter aus Accra. Im Mole Nationalpark: Kwame, der Manager des Rainbow Garden Village vom Lake Bosumtwe, auf Tour mit einer Reisegruppe. In Kumasi: die Familie, die man bereits in Tamale im Guesthouse getroffen hat. Im Kakum Nationalpark an der Küste: Dieselbe Gruppe blonder Volunteer-Mädels, naiv und frisch von der Schule, die einem bereits in Mole auf den Wecker ging. Und nicht zu vergessen: Kofi Annan, ebenfalls im Kakum Nationalpark. Ja, genau, der Kofi Annan, der ehemalige Generalsekretär der Vereinten Nationen. Auch wenn er auf den ersten Blick nicht so leicht zu erkennen war, in legerer Freizeitkleidung und mittlerweile etwas runder um den Bauch herum. 

Ghana ist ganz grob betrachtet ein Rechteck, ungefähr 800 mal 500 Kilometer. Genug Platz um eigentlich nicht ständig die gleichen Gesichter zu sehen. Könnte man denken. Da Ghana aber als Ganzes touristisch eher wenig erschlossen ist, konzentrieren sich die Reisenden an ein paar Orten. Während man im Regelfall der einzige Weiße im Bus oder Trotro ist, steigt die Obruni-Dichte doch deutlich an, sobald man sich den großen Attraktionen nähert:

In Wli bei Hohoe befindet sich Westafrikas höchster Wasserfall. Mole ist einer der besten Orte um Elefanten aus nächster Nähe zu sehen, im Regenwald von Kakum befindet sich der angeblich einzige Canopy-Walkway Afrikas. Außerdem sind die Sklavenburgen von Cape Coast und Elmina in unmittelbarer Nähe. Da die meisten Reisenden außerdem entweder mit dem Reiseführer des Peter-Mayer-Verlags (die Deutschen, von denen es einen ganzen Haufen gibt) oder dem Bradt-Guide (alle anderen) unterwegs sind und in beiden Büchern in etwa das Gleiche steht, ist es auch kein Wunder, dass man in den Hostels und Guesthouses immer wieder dieselben Leute trifft. 

Einer der unangenehmen Nebeneffekte davon, dass sich der Tourismus so sehr an wenigen Orten konzentriert, ist, dass man dort dann umso aggressiver von Möchtegern-Guides, Souvenirverkäufern und Taxifahrern angegangen wird, die einem irgendetwas verkaufen möchten. Die meisten scheinen davon auszugehen, dass man als Obruni Geld hat (was zumindest im Vergleich mit den Einheimischen oft zutreffend sein dürfte) und dass man dieses Geld auch in Ghana ausgeben möchte (was meistens nicht zutreffend sein dürfte, aber auf wenig Verständnis stößt). Mitunter können gerade die Händler recht penetrant sein, etwa wenn sie ärgerlich werden, wenn man auf den duzendsten „Obruni“-Zuruf nicht reagiert oder wenn sie gar versuchen einen regelrecht mit Gewalt festzuhalten, wie in Kumasi.

Nicht fotoscheue Ghanaer.
Dieses geballte Ausmaß unerwünschter Aufmerksamkeit kann mitunter ganz schön anstrengend werden, besonders wenn sich auch noch bettelnde Kinder dazu gesellen oder freche Affen einem das Abendessen aus dem Rucksack klauen. Mitunter wird man auch selbst zur Attraktion und fotografiert. Ungefragt. Will man umgekehrt aber Fotos von Ghanaern machen, sind sie hingegen oft nicht einverstanden. Oder wollen Geld dafür. Ausnahme sind natürlich die Kinder, die sofort mit posieren anfangen wenn sie eine Kamera entdecken.

Bei den Souvenirhändlern und Taxifahrern ist die Absicht klar, wenn sie einen ansprechen. Die Möchtegern-Tourguides sind jedoch oft nicht sofort als solche zu erkennen und verwickeln einen zunächst in ein Gespräch. Woher kommst du – wie heißt du – wie lang bist du schon in Ghana? Kurz darauf folgt dann oft doch noch der Haken. Das ist schade, führt das doch dazu, dass man als Reisender recht misstrauisch wird und sich oft nur noch ungern auf ein Gespräch einlässt. So entgeht einem sicher die eine oder andere nette Bekanntschaft.

Begibt man sich etwas abseits der ausgetretenen Pfade, wird man zum Glück nicht mehr nur als wandelnder Geldautomat angesehen. Aufmerksamkeit erregt man dennoch weiterhin, einfach auf Grund der Tatsache, dass sich selten ein Weißer in die Gegenden weit ab der Nationalparks und der Sklavenburgen verirrt. In jedem Dorf kreischen und winkende Kinder, sobald sie einen erspähen. Man fühlt sich ein wenig wie der Papst, wenn man an ihnen vorbeifährt und zurückwinkt. Andere, wie ein junger Mann in einem Ort irgendwo im Nirgendwo zwischen Volta und Northern Region, wollen auch nur einmal einem Weißen die Hand schütteln.

Auch scheinen die Leute freundlicher und hilfsbereiter zu sein: Das Trotro, das umkehrt weil man einen Teil seines Gepäcks (inkl. Laptop) hat liegen lassen; der Eggbread-Verläufer der spätabends seinen Stand alleine lässt um einen zu einer amerikanischen Entwicklungshelferin zu führen, weil man in einem kleinen Kaff gestrandet ist und einen Platz sucht um sein Zelt aufzustellen. Glücklicherweise kann man solche Erfahrungen noch machen, denn  Ghana gehört noch nicht zu den Ländern, die von Touristen überschwemmt werden. Auch wenn es so aussieht, als würde die ghanaische Regierung das Ziel die Zahl der Touristen bis 2020 auf 1 Million zu steigern vorzeitig erreichen, dürfte das noch einige Zeit so bleiben.

Allerdings wird abseits der Hauptrouten das Vorwärtskommen deutlich anstrengender. Während in den südlichen Landesteilen und entlang der Hauptverkehrsadern im Norden die Straßen überwiegend recht gut und nur gelegentlich schlaglöchrig sind, verdienen die Pisten im restlichen Land den Namen Straße kaum. Staubig bis schlammig und von tiefen Furchen durchzogen wird die Fahrt im engen Trotro oder auch mal auf der Ladefläche eines LKWs zur Tortur, blaue Flecken mit eingeschlossen, wenn es stundenlang kaum schneller als Schritttempo vorwärts geht. Wenn es vorwärts geht, denn wo keine Reisenden – ausländische wie einheimische – sind, fährt auch deutlich seltener etwas.

Nützliches und Unnützes für den täglichen Reisebedarf.
Im Allgemeinen kommt man in Ghana aber recht zügig voran, längere Wartezeiten sind eher die Ausnahme. Und falls es dann doch mal etwas länger dauert, hat man immerhin mehr Zeit um sich vom Busfenster aus mit Proviant einzudecken. In Ghana gibt es nämlich einen hart umkämpften Arbeitsmarkt für Straßenhändler. Das führt zu der bequemen Situation, dass man sich vor oder auch während der Fahrt nur aus dem Fenster lehnen muss und ein facettenreiches Angebot an Essen, Trinken sowie nützlichen oder auch unnützen Alltagsgegenständen lautstark präsentiert bekommt. Das ist an kleinen Busstationen in der Provinz nicht anders als an den großen Verkehrsknoten.

Und auch wenn man sich viel abseits der ausgetretenen Pfade bewegt, führen einen auch diese irgendwann wieder zurück zu diesen Verkehrsknoten und auf die bekannten Hauptstrecken, sofern man nicht ganz auf die großen Attraktionen verzichten will. Und dort trifft man dann prompt auch gleich wieder die altbekannten Leute.  Und Kofi Annan? Der ist ein Fanti, der Volksgruppe aus der Gegend um Cape Coast, und wollte wohl einfach nur ein paar Besuchern ein Stück seiner Heimat zeigen.

Fischerdorf und teures Beachresort an der Volta-Mündung, getrennt durch eine Mauer.

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