Freitag, 3. Juni 2011

Von Mondlandschaften und Meteoritenkratern

 
Eigentlich sind Accra und Kumasi nicht so weit voneinander entfernt. Nicht einmal 250 km sind es zwischen der Hauptstadt und der zweitgrößten Stadt Ghanas. Eigentlich. Wäre da nicht dieses eine Stück, etwa 30km nach Accra. Es ist nicht einmal lang, dieses Stück. Aber es sorgt dafür, dass aus 250 km gefühlte 500 werden. Ein kleines Stück fehlende Straße für die Ghana Highway Authority, ein großes Stück Mondlandschaft für uns. Die asphaltierte Straße endet und es beginnen knapp 30km Schotterpiste, so breit wie eine Autobahn aber zerfurcht und von Schlaglöchern übersäht. Ein Zustand, der schon seit Jahren währt. Es wird zwar gebaut, aber offenbar geht seit Ewigkeiten kaum etwas voran. Die meisten Ghanaer scheinen schon weitestgehend resigniert zu haben, dass sich in absehbarer Zeit etwas daran ändern könnte. 

Es holpert und rumpelt und schaukelt und strapaziert besonders die Nackenmuskeln, die irgendwie bemüht sind ein Schleudertrauma zu verhindern. Auch, wenn man es wie wir auf der Hinfahrt noch gut erwischt und äußerst komfortabel im V.I.P-Bus in Business Class-Sesseln reist, extra breit und mit verstellbarer Fußstütze. Eine Kopfstütze wäre vermutlich sinnvoller. Mitunter ist es ein Wunder, dass der große Reisebus nicht aufsitzt, sich festfährt oder in den Graben rutscht, wie es offenbar einem LKW-Fahrer auf halber Strecke passiert ist, dessen Fahrzeug bis zum Führerhaus im Dreck steckt. An einer anderen Stelle hat ein LKW seinen Anhänger verloren. Das war dann offenbar ein Schlagloch zuviel.

Ein Schlagloch ist im Übrigen auch das Ziel dieser Reise, genauer ein Einschlagloch etwa 30 km südöstlich von Kumasi: Der Lake Bosumtwe liegt in einem Meteoritenkrater, entstanden vor etwa einer Million Jahren und heute der größte natürliche See Ghanas. Abono ist der Hauptort am See und liegt am Ende einer asphaltierten Straße. Er ist recht hübsch, mit offenbar neuen Abwasserkanälen an den Straßenrändern und viele Häuser entlang der Hauptstraße sind in den knallbunten Farben von Mobilfunkfirmen oder Waschmittelherstellern gestrichen. Hierher kommen am Wochenende viele Einwohner von Kumasi, vornehmlich um Party zu machen. Das ist das eine Gesicht des Lake Bosumtwe.

Um das andere zu sehen, biegt man am Ortseingang am besten nach rechts auf einen Schotterpfad ab. Zunächst kommt man noch an ein, zwei Luxus-Resorts vorbei, doch bereits das Dorf danach sieht ganz anders aus: Die Häuser sind unverputzt, geschweige denn gestrichen. Abwasserkanäle gibt es hier keine mehr. Immerhin gibt es hier noch einen kleinen Laden. Ein Dorf weiter gibt es den dann auch nicht mehr. Das Dorf heißt Abaase und hier will der Verein Rainbow over Ghana, in dem Steffi und ich seit geraumer Zeit aktive Mitglieder sind, eine Grundschule bauen.

Deshalb ist diese Fahrt zum Teil auch ein Arbeitsbesuch. Wir sind hier um den künftigen Ort unseres Projektes zu besichtigen und uns ein eigenes Bild von der Lage zu machen. Unsere Unterkunft ist das „Rainbow Garden Village“, eine komfortable und hübsche Lodge direkt am Seeufer. Die Farbe auf dem großen „Akwaaba“-Schild über dem Eingang beginnt zwar schon etwas abzublättern und auch ansonsten wirkt das Rainbow Garden Village ein wenig wie im Dornröschenschlaf.

Nichtsdestotrotz werden wir äußerst liebenswürdig empfangen: Die Loge wird von Kwame und seiner Frau betrieben, die sehr gastfreundlich und in der Küche durchaus talentiert sind. Gleichzeitig sind sie momentan auch soetwas wie die Repräsentanten des Vereins vor Ort, auch wenn sie nicht offiziell dazu gehören, da das Rainbow Garden Village auch die Keimzelle des Vereins war: Der Besitzer ist gleichzeitig auch der Initiator und Vorsitzende des Vereins. 

Die beiden führen uns am nächsten Morgen in das Dorf Abaase. Es gibt dort zwar bereits eine staatliche Schule, die jedoch nur mehr schlecht als recht in Betrieb ist. An diesem Freitagmorgen sind lediglich drei Lehrer anwesend. Wo die anderen sind, oder wann sie zurückkehren? Offiziell sind sie krank oder müssen sich um irgendwelche anderen wichtigen Dinge kümmern, tatsächlich ist der Posten hier in der Provinz einfach wahnsinnig unattraktiv. Auch der Rektor hat sich bereits aus dem Staub gemacht. 

Die meisten Schüler scheinen daher nicht so recht beschäftigt zu sein. Unterricht findet jedenfalls nicht statt. Dafür sind einige Schüler damit beschäftigt mit Schaufel und Spitzhacke ein Stück des Hanges, an dem de Schule liegt, ein zu ebnen. Sie sagen, dass es ein kleiner Bolzplatz werden soll, doch es könnte auch einfach eine Strafaufgabe für Zuspätkommer sein. Was immerhin besser als Schläge mit dem Rohrstock wäre, was ebenfalls noch Usus ist.

Etwas oberhalb der Schule befindet sich eine Bauruine. Hier hatte das Dorf begonnen einige neue Klassenräume zu errichten, in dem Versuch die Regierung dazu zu bewegen sich mehr für die Schule zu engagieren. Der Versuch misslang, dem Dorf ging das Geld aus und so verwittern die nicht einmal hüfthohen Mauern aus bröseligen Steinblöcken wieder.

Bröselig wirken auch die Mauern der Häuser, die aus Lehm gebaut sind. Wir dürfen auch einen Blick in eines werfen: Den Mittelpunkt bildet ein kleiner Innenhof von etwa vier mal vier Metern. An einer Wand befindet sich der offene Herd, von den übrigen drei gehen jeweils die Räume ab. In der Mitte des Hofs sitzt eine Oma und badet ihre beiden Zwillings-Enkel. Die beiden Mädchen sind vermutlich noch kein Jahr alt. Fotos dürfen wir leider keine machen, da die anwesenden Frauen sich nicht angemessen gekleidet fühlen.

Am Nachmittag treffen wir den „Chief“, das Oberhaupt des Dorfes. Wir sitzen auf einem kleinen halbrunden Hof hinter seinem Haus, das etwas größer und stabiler aussieht, sich im übrigen aber kaum von den umliegenden Häusern unterscheidet. Außer einem Anwesenden, der auch im Bezirksrat arbeitet, scheint niemand Englisch zu sprechen, auch der Chief nicht. Kwame ist daher unser Dolmetscher. Es entwickelt sich ein sehr offenes Gespräch.

Wir erfahren, dass die Dorfbewohner hauptsächlich vom Anbau von Kakao und Kochbananen leben. Der Fischfang im See wirft im Gegensatz zu früher aber kaum mehr etwas ab. Auch bei den wenigen Bewohnern, die eine Fernsehantenne auf ihrem Dach haben, besteht dieses dennoch nur aus rostigem Wellblech. Es handelt sich sicherlich nicht um eine sonderlich wohlhabende Gemeinde. Dass die Bewohner zu der Schule etwas zuzahlen können, erscheint daher eher unwahrscheinlich. Der Chief versichert uns jedoch, dass das Dorf mit seiner Arbeitskraft bereitsteht, sobald wir mit dem Bau beginnen wollen.

Er selbst fragt uns zum Ende des Gespräches, ob wir es wirklich ernst mit dem Bau der Schule meinen, oder ob wir nur hier sind um eine gute Figur abzugeben. Wir sind von dieser Frage positiv überrascht, denn sie zeigt, dass das Dorf wirklich Wert darauf legt, dass die Schule auch gebaut wird. Auch der Versuch des Dorfes selbst für eine Erweiterung der bestehenden Schule zu sorgen, ist positiv, auch wenn er letztlich nicht erfolgreich war: Er zeigt, dass die Einwohner nicht nur abwarten, sondern gewillt sind sich selbst zu helfen. Alles was sie somit bräuchten, ist ein wenig Hilfe zur Selbsthilfe. Leider ist dieses Konzept inzwischen allzu oft zur Phrase verkommen. Aber vielleicht können wir es ja ein bisschen besser machen?